Warum ich trotzdem immer noch hier lebe
Ich habe fast mein gesamtes Leben in Bremerhaven gewohnt. Mit knapp 3 Jahren „wurde“ ich hierher gezogen. Meine Eltern haben mich selbstverständlich in dem Alter nicht gefragt, ob ich aus dem Dorf Spieka, damals Landkreis Wesermünde, mit in die Stadt ziehen wollte. Und später, 1980 – 81, habe ich in Bokel gewohnt, weil ich dort gearbeitet habe. Ansonsten war ich immer Bremerhavener. In diesem Beitrag beschreibe ich, warum es mich zwar immer weggezogen hat, ich aber immer hier geblieben bin.
Bremerhaven hat bekanntlich deutschlandweit den Ruf verarmt und unterste touristische Provinz zu sein. Lediglich das Auswandererhaus, der Zoo und mit Abstrichen das Schifffahrtsmuseum bekommen positive Noten. Und natürlich soll man Fisch essen im Schaufenster und Umgebung. Wobei heutzutage der Fisch, der auf Bremerhavener Teller kommt, genau so tiefgefroren war wie der, der nach Bamberg geliefert wird. Wirklich frischer Fisch wird ja auch in Bremerhaven nicht mehr verarbeitet. Dafür stinkt die Stadt aber auch nicht mehr so nach Fisch wie früher.
Die lokalen Politiker tun meiner Meinung nach auch alles dafür, dass niemand die Ruhe und Beschaulichkeit Bremerhavens durch einen längeren Urlaubsbesuch stört. Ein Shopping Center im italienischen Stil, das heute Outlet-Center heißt? Gibt es überall. Zoo auch, obwohl unser für Kinder ganz nett, weil überschaubar, ist. Eine interessante Innenstadt? Fehlanzeige. Cafés, Bistros, interessante kleine Spezial-Geschäfte für Spaß-Shopping? Erst recht Fehlanzeige. Möglichkeit in der Innenstadt für Rundspaziergänge? Fehlanzeige.
Es geht nur Fußgängerzone noch Norden flanieren, Rückweg durch die obere Bürger. Und dieser Weg führ auch nur vom Theodor-Heuß-Platz bis zum alten, jetzt leerstehenden Karstadt Gebäude und zurück, also 500 Meter hin und die gleich Entfernung zurück. Wahrlich eine Prachtallee! Und auf dem Weg findet man die Filialen all der Ladenketten, die es überall gibt. Dazwischen leerstehende Geschäftsräume. Das ist nicht nur für Touristen grausam, sondern auch für mich Einheimischen. Es gibt NULL Anreiz, in diese Innenstadt zu fahren. Weder zum Entspannen noch gar zum Einkaufen, denn es gibt überall nur 08/15 Ware. Ausgefallene Mode? Spezielle Technik? Doch nicht in Bremerhaven. Da muss ich nach Bremen oder Oldenburg fahren – oder eben gleich im Internet gucken.
Bremerhaven ist und bleibt Provinz, und die überregionalen Meldungen, dass wir in den Armutsstatistiken (auch für Kinder…) ganz unten und bei den Arbeitslosenzahlen ganz oben sind, erscheinen mir auch nicht wirklich förderlich. Und unsere politische Führung schweigt konzeptlos dazu. Gute Nacht, Bremerhaven.
Wieso bin ich denn trotzdem immer noch hier und nicht längst ausgewandert in spannendere Regionen?
Ich habe tatsächlich mehrere Anläufe gemacht, Bremerhaven hinter mir zu lassen. Der erste war bereits 1974, als ich mein Studium begann, obwohl damals die Bremerhavener Innenstadt für junge Partygänger noch interessant war mit der alten Bürger und dem Wally, die Kolumbuskaje und der Fischereihafen zum Sightseeing einluden und die „Bürger“ in der Innenstadt die zeitgemäßen Geschäfte aufwies. Ich hoffte damals auf einen Studienplatz in Hamburg oder Bremen, bekam aber nur einen in Bremen. Die Stadt reizte mich überhaupt nicht, also blieb ich in Bremerhaven.
Der zweite Versuch war dann 1984, als ich nach Studium und Referendariat eine Arbeitsstelle suchte – was damals zu Zeiten der Akademiker-Arbeitslosigkeit in Deutschland ziemlich schwer war. Ich bewarb mich überregional auf die raren Stellen und erhielt eine in – Langen bei Bremerhaven. Dorthin zu ziehen war noch langweiliger als in Bremerhaven zu bleiben. Also blieb ich. Da dann meine Familienphase mit Heirat und Geburt unseres Sohnes begann, war das Wegziehen zunächst nicht mehr vorrangig.
Der 3. und letzte Versuch Bremerhaven zu verlassen war zum Ende meines Berufslebens 2016. Ein „Altersplan“ war, dann nach Süddeutschland zu ziehen. Die Nähe zum Skifahren im Winter oder zum Sommerurlaub am Mittelmeer und auch die zentraleuropäische Lage reizten sehr. Man könnte schnell überall hinkommen. Ich beschloss damals, erst einmal zur Probe auszuwandern. Ich mietete mich für einen kompletten Monat in Lindau am Bodensee ein um zu testen, ob mir das gefallen würde.
Das Ergebnis stand nach etwa zwei Wochen fest. Eindeutig Nein! Es gefiel mir nicht, dort zu leben, aber es wurde mir durch den Aufenthalt klar, was wirklich wichtig bei dem Begriff „Heimat“ ist. Es ist nicht die Umgebung, es sind nicht die Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten, die dazu am Bodensee nicht deutlich anders waren als hier in Bremerhaven. Vielmehr sind die persönlichen Kontakte mit Menschen, die einem wichtig sind, von zentraler Bedeutung. Das soziale Umfeld muss vorhanden und intakt sein.
Das war natürlich in Lindau nicht vorhanden. Gut, ich hätte über die Mitgliedschaft dort in einem Sportverein oder über meine Zauberaktivitäten, die ich damals noch hatte, sicherlich neue Kontakte knüpfen können. Aber die wären wahrscheinlich nicht so intensiv gewesen wie die hier in Bremerhaven über Jahre und Jahrzehnte gewachsenen es sind. Es ist dann schon ein großer Unterschied, ob man Bekanntschaften schließt und pflegt oder langjährige Freunde und Wegbegleiter um sich hat, die man kennt und auf die man sich verlassen kann. Um diese herum kann man auch neue Menschen kennenlernen.
Und dieses Umfeld hatte ich immer in Bremerhaven: Familiär, in meinem Sportverein und im Berufsleben. Und so bin ich nach wie vor Bremerhavener, ärgere mich über unsere langweiligen Stadt-Politikerinnen und Politiker und gestalte meinen Mikrokosmos so interessant wie möglich. Und wenn ich Fernweh habe, setze ich mich einfach ins Auto und fahre los!