Null Bock auf Auftritt?

Wenn das kein Wink des Schicksals mit dem Zaunpfahl war! Ich hatte für gestern einen Auftritt bei einem 6. Kindergeburtstag angenommen. Und schon seit Tagen quälte mich der Gedanke: „Scheiße, warum machst du das? Das macht doch keinen Spaß mehr!“ Ich hatte tatsächlich null Bock auf diesen Auftritt.

Dann las ich vorgestern auf facebook einen Beitrag von Tom Kratz: „Hattet ihr schon Mal so richtig keinen Bock aufzutreten? So ein Gefühl, als wäre diese ganze Zauberei eh völlig bescheuert und unsinnig?“ Und antwortete für mich spontan mit: „Ja! Gerade jetzt.“

Wie ich dann in den weiteren Kommentaren gelesen habe, geht es vielen KünstlerInnen so. Teilweise wird das als besondere Form des Lampenfiebers angesehen.

Nun, Lampenfieber war es bei mir definitiv nicht. Och spiele seit mehr 20 Jahren auf Kindergeburtstagen mein Programm „Zauber?Kinder!“ (natürlich immer mal modifiziert und modernisiert) und habe 50 Jahre Berufs- und Hobbyerfahrung in der Arbeit mit Kindern. Da machen mich 7 Kinder kein bisschen nervös. Die würde ich notfalls auch ohne Zauberrequisit in der Hand 45 Minuten unterhalten.

Gestörte Freizeit

Mir geht es vielmehr inzwischen zunehmend öfter so, dass mir diese Auftritte schlicht lästig sind. Sie unterbrechen meine Freizeit. Ich muss den Nachmittag freihalten, meinen Zauberkram zusammenpacken, hinfahren, auftreten und wieder zurück. In der gleichen Zeit könnte ich relaxen, ein Buch lesen, zum Fußballtraining gehen oder einfach gar nichts machen.

Bei mir ist auch das Honorar kein Gesichtspunkt, der mich wesentlich aufheitert. Ich habe zwar mein Honorar einfach mal um 50 % erhöht, um weniger gebucht zu werden, interessiert die Leute aber nicht. Buchen trotzdem. 🙂 Aber ich brauche das Geld überhaupt nicht, da ich seit jeher nebenbei auftrete. Ich lebe sorgenfrei von meiner Pension und muss nicht auftreten. Die Einnahmen investiere ich ohnehin in mein weiteres Hobby Kinderfußball im BSC Grünhöfe.

Bei mir ist wirklich der Zustand in Bezug auf die Zauberkunst: Meine Begeisterung hält sich sehr in Grenzen. Um es einmal etwas positiv auszudrücken.

Versuch einer Analyse

Woran liegt diese Lustlosigkeit? Natürlich stelle ich mir diese Frage, denn wenn es mich wirklich belastet zum Zaubern zu gehen, kann ich jederzeit damit aufhören. Mich zwingt ja keiner.

Ich denke, es ist zunächst ein Altersproblem. Ich bin inzwischen 70 Jahre alt. Auch wenn ich noch ziemlich agil und gesundheitlich unbelastet bin, ist doch der Schwung der Jugend deutlich lahmer geworden. Höchstleistung schaffe ich noch 2 Mal pro Tag – mit der Zaubershow ist schon einmal abgearbeitet. Und ich merke danach, wie mich die Show körperlich angestrengt hat.

Es ist für mich aber auch ein Problem, dass es kein Erlebnis mehr ist aufzutreten. Früher habe ich den einen oder anderen neuen Trick mit eingestreut oder mich auf andere neugierige Kinder gefreut. Inzwischen habe ich so viele Kinder und Erwachsene erlebt, dass mich wirklich die meisten kaum noch interessieren. Da muss schon jemand sehr von der gültigen 08/15 – Norm abweichen, dass er oder sie mich beeindruckt und interessiert. Das gestrige Publikum gehörte nicht dazu – das habe ich morgen vergessen.

Was heißt das für die Praxis?

Mir ist völlig klar, dass ich mit dieser Einstellung nicht dauerhaft auftreten kann. Das geht mal für ein paar Auftritte, die ich mit Routine herunterspiele.

Das hab ich gestern gemacht, denn natürlich versaue ich der Familie nicht den Kindergeburtstag, nur weil ich einen schlechten Tag habe. Ich war also pünktlich und nach außen hin gutgelaunt da und habe die Show gespielt. Alle waren zufrieden. Ich auch, dass es dann vorbei war.

Aber ich habe z.B. für morgen Abend eine Anfrage zu einem Erwachsengeburtstag abgesagt, weil ich zurzeit nur noch für Kinder auftrete. Und überlege derzeit wieder einmal ernsthaft, nur noch in Kitas und Schulen aufzutreten. In dem Umfeld fühle ich mich wohl, wie ich schon einmal kürzlich geschrieben habe.

In privaten Räumen sind mir die Umstände lästig: In die Privatsphäre der Familie zu gehen, die Ungewissheit, wie die Kinder reagieren, die in der Regel kleine Gruppe, die aber einen Zusammenhalt hat, in den ich eindringe. Das sind alles so kleine Dinge, die mich stören.

Vielleicht ein Beispiel dazu, mit dem es deutlicher wird. Gestern entstand nach ca, 35 MInuten Unruhe unter den 6-jährigen. Eins davon konnte nicht mehr sitzen und ging also durch das Wohnzimmer, um sich vom Tisch einen Schokobonbon zu holen. Ist kein Problem, lenkt aber ab und andere fühlen sich aufgefordert, das gleiche zu tun. Da sie das „Hausrecht“ haben, machen sie das einfach und ich stehe im Prinzip im Weg.

So etwas passiert in Schule oder Kita eher nicht. Es wird auch unruhig, ja, ist aber anders handle-bar. Weil die Kinder daran gewöhnt sind, trotzdem bis zum Ende abzuwarten. Sie haben kein Hausrecht und sind ebenso an die Regeln gebunden wie ich als Gast in der Einrichtung.

Und die Moral von der Geschicht‘?

Die weiß ich nicht. (Fein gereimt! 🙂 )

Jedenfalls muss ich mal wieder in innere Klausur gehen um zu definieren, was ich eigentlich will. Gefühlt sollte ich aufhören zu zaubern. Da ich aber diesen Blog gerne weiterführen möchte, brauch ich auch Auftrittserfahrungen. Nur theoretisch rumreden ist Unsinn (obwohl es trotzdem von manchen Kolleg*Innen getan wird…)

Ich denke, es wird darauf hinauslaufen, dass ich deutlich weniger Auftritte annehmen werde als bisher und mich tatsächlich auf Schulen und Kitas beschränke. Und bei den privaten Anfragen so hohe Gagen verlange, dass sie entweder dankend ablehnen oder ich die Buchung wegen einer hohen Einnahme ertrage. Zumal ich damit wieder andere Hobbys finanzieren kann.

4 thoughts on “Null Bock auf Auftritt?

  1. Hallo Volkmar, auch ich habe mich entschieden, Aufträge abzulehnen, wenn dadurch meine kostbare freie Zeit mit meiner Familie unterbrochen wird.
    Außerdem beharre ich auf bestimmte (z. B. zeitliche und örtliche) Vorgaben, die der Auftraggeber akzeptieren muss, weil meine Zauberei über meine Persönlichkeit lebendig wird.
    Da ich mich nicht nur als Unterhalter sehe, sondern die der Zauberei innewohnende Magie meine „Botschaft“ ist, bekomme ich bei ausgesuchten Auftritten durchaus Kraft, die mich motiviert.

  2. Hallo, Roman,
    danke für diesen ausgezeichneten Kommentar. Ich finde, du hast darin kurz und präzise die – jedenfalls für uns hobbymäßig zaubernden Menschen – entscheidenden Dinge hervorragend auf den Punkt gebracht.
    Wir müssen auch an uns und unser Wohlbefinden denken. Dann kommen wir auch künstlerisch besser an.
    Ein schönes neues Jahr 2024!

  3. Das ist lustig, ich war kurz vor Weihnachten in einer Kita und habe nach dem Auftritt überlegt ob es das letzte mal für mich war.

    Ich war Pünktlich vor Ort . Der Weg von der Straße zur Einrichtung war durch einen Poller versperrt, weswegen ich erst mal zu Fuß in die Kita ging.

    Dort musste ich mich erst mal durchfragen wo der der Schlüssel für den Poller ist weil sich für mich keiner Verantwortlich fühlte. Wie ich im Nachhinein Festellen musste war die KiTa Leitung krank.

    Als ich dann 10min vor Show beginn mit allem fertig war kam dann der Hausmeister rein der mir Freundlicherweise Strom angeboten hat ( Man gut das bei mir alles mit Akku läuft) und mir dann Zeigte wie ich unproblematischer meine Sachen vom Auto rein bringen könnte.

    Dann kamen auch nach und nach die Kinder mit den Erziehern rein und nahmen Platz. Ein Junge meinte er müsse sich mitten auf die Bühne legen und auch kein Erzieher fühlte sich verantwortlich das Kind einem anderen Platz zu zuweisen. Das habe ich dann mal freundlicher weise die ganze Show übergemacht, nicht das ich auf das Kind noch drauf trete.

    Dann fand ich mein Weihnachtsprogramm auch von mir nicht gut zusammen gestellt. Es waren zu viele Kunststücke drin was die Kinder Puscht und es war viel Lärm in der Zeit wo ich da war.
    Kann auch dran gelegen haben das die Kinder vom Schnitt her doch sehr Jung waren.

    Aber das mit der Lust kenne ich ab und an auch und bin nach der Vorführung dann doch glücklich wenn eine Buchung erfolgreich zu ende ist und alle strahlende Augen haben.
    Ich bin aber auch bei der Annahme von Buchungen wählerisch und lehne auch Aufträge ab wenn mir die umstände nicht passen.

  4. Zunächst meinen Respekt für die offenen und selbstkritischen Worte von Volkmar Karsten.
    Fehlende Motivation vor einem Auftritt kennt wohl jeder. Ich als Berufler musste über die Jahre erst einmal lernen, dass man auch nein sagen kann. In den ersten Jahren als Zauberkünstler wurde manche Urlaubsplanung zerschnitten, meine Familie hat dies zum Glück mitgetragen. Mittlerweile blocke ich im Voraus Wochen, in denen ich keine Auftritte annehme. Auch verzichte ich z.B. auf Tage der offenen Tür bei Autohäusern, wo ich mir mein Publikum auf dem Gelände selbst suchen muss.
    Da ich viele Reengagements habe, hatte ich schon zu Zeiten, als alles noch ein Hobby war, eine Zauberchronik begonnen. Darin schreibe ich für jeden Auftritt kurz auf, was ich vorgeführt habe. Ich möchte vermeiden, dass ich bei erneuter Buchung dasselbe zeige. Besonders, wenn der vorherige Auftritt maximal ein Jahr zurück liegt. Da erinnern sich die großen und kleinen Zuschauer noch an zu vieles. Manche Zauberwirkung würde unnötig verpuffen.
    In der Zauberchronik stehen auch Momente und Begebenheiten, die den normalen Ablauf besonders machten. Das sind meist überraschende Reaktionen, die einen magischen Moment kreierten. (Selbstkritische Hinweise, wenn ich was verbockt habe, finden sich ebenso hin und wieder.)
    Das bedeutet, dass ich nicht nur ein sondern mehrere spielbare Programme im Koffer habe. Dies beugt schon mal allzu großer Routine, die in Langeweile umschlagen kann, vor.
    Und wenn man sich die Mühe macht, zu notieren was bei dem Auftritt besonders war (ein Staunen, gebannte Stille, überraschender Applaus, eine tolle Bemerkung des Zuschauers usw. usf.) gerät das Publikum nicht sofort in Vergessenheit. Es gibt eigentlich immer etwas, das vielzitierte kleine Glück, das man aufschreiben sollte. Selbst wenn die Schau aus unserer Sicht eher durchschnittlich verlief. Es hilft, die Antennen neu auszufahren und gegen geschäftsmäßige Routine die Feinheiten unserer Kunst wieder selbst zu spüren.
    Darüber hinaus kommt man bei fehlender Motivation aus dem Loch heraus, wenn man ab und zu lesen kann, was da schon alles positiv gelaufen ist.
    Ich wünsche Euch viele motivierende Auftritte
    Zauberer Piccolo

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert