Gastbeitrag von Ulrich Rausch
Beifang
Manchmal sucht man Dinge, findet aber nebenher etwas ganz anderes sehr Interessantes, womit man nie gerechnet hätte. In der Fischerei würde man dies als Beifang bezeichnen. Verwerfen oder behalten und benutzen ist dann die Frage.
Für meinen zweiten Band der Punx-Biographie bin ich gerade auf der Suche nach allen TV-Sendungen, die Punx gestaltet oder in denen er zumindestens aufgetreten ist. (Falls diese Arbeit interessiert. Ich berichte hier monatlich von den neusten Erkenntnissen: https://www.facebook.com/groups/661032665391073) Bei der Suche habe ich im Jahr 1954 begonnen… und bin noch lange nicht fertig.
Ein Beifang ist das Thema: Zauberkurse für Kinder. Schon in den 50er und Anfang der 60er Jahre gab es im deutschen Fernsehen regelmäßig Sendungen für Kinder, in denen Zauberkunststücke erklärt werden. Und in diesem Zusammenhang ist bei mir dann die Frage aufgepoppt: Warum macht man eigentlich Zauberkurse für Kinder?
3 Phasen
Auch wenn dies hier keine ausführliche und abschließende Behandlung des Themas sein soll und kann, mag ich doch eine Beobachtung teilen. Ich habe den Eindruck, dass im Laufe der Jahre die Motivation, warum man Kindern/Jugendlichen Zaubern beibringen kann, gewandelt hat. 3 unterschiedliche Motivationen kann ich hier benennen und ich verzichte dabei ausdrücklich auf den rein finanziellen Aspekt.
- Zeigen. wie schwer die Zauberkunst ist
- Zaubern für den pädagogisch/therapeutischen Einsatz
- Zaubern als Zeitvertreib
In der Jugendzeitschrift „Neue Stafette“, Heft 3, 1968 (Sebaldus Verlag, Nürnberg) wurde ein Zauberkurs angeboten. So jedenfalls wurde das Heft unter anderem in der verlagseigenen Fernsehzeitschrift beworben. Und aus reiner Neugier habe ich mir das betreffende Heft bestellt. Und der erste Eindruck war auch recht positiv: Francesco Altini wird als Autor genannt. Hinter diesem Künstlername verbirgt sich der bekannte Fernsehjournalist Franz Alt, der u.a. jahrelang Moderator der Sendung „Report“ in der ARD war, Buchautor und politisch im Bereich der Friedenspolitik und des Umweltschutzes aktiv. Und Zaubern war sein Hobby. Ich meine mich zu erinnern, dass in einer seiner Reisereportagen man sieht, wie er mit Kindern in einem fremden Land per Zaubertricks Kontakt aufnimmt. Und er ist Mitglied im „Magischen Zirkel von Deutschland“.
5 Seiten Zauberei in „Stafette“
Aber zurück zur Stafette: Fünf Seiten werden der Zauberei gewidmet, und wie es sich gehört beginnt man erst einmal einem geschichtlichen Überblick, der mit der unbestimmten „finsteren Zeit“ beginnt. Die ganzseitige Abbildung hat dann aber nichts mit Zauberei zu tun, sondern zeigt eine Seiltänzer-Gruppe. In dem folgenden Artikel „Hexenmeister ’68“ wird auf 4 Seiten der Bogen von Wandmalereien über den Scheiterhaufen bis zu Fernsehzauberkünstlern gespannt. Der Zauberkurs besteht dann aus der Beschreibung des Billiardball-Tricks, allerdings wird hier nicht Alt, sondern der Nachwuchszauberer „Manueli“ genannt. Ich habe als Abbildung einen Teil der Beschreibung vergrößert, wie der Trick (ohne Bilder) gelehrt wird. Zum einen fliegen den Zauber Anfängern Fach-Begriffe um die Ohren, ohne dass sie verständlich erklärt werden (palmieren heißt verstecken; Die „Stellung Linksprofil“ wird ausdrücklich mit einem Ausrufungszeichen versehen, aber was dies ist, wird nicht gesagt usw. Und dass man zum Einstieg gleich Requisiten braucht, die nicht in jedem Haushalt, sondern nur im Zauberfachhandel zu finden sind, macht die Sache auch nicht gerade leicht. Mein Eindruck ist, dass das handlungsleitende Motiv bei diesem Zauberkurs ist zu zeigen, wie schwer und anspruchsvoll die Zauberei ist, und sie eben nicht jeder einfach so kann. Denn mit dieser Anleitung wird niemand ohne zusätzliche Hilfe Zaubern lernen,
Zaubern lehren mit einem pädagogischen Hintergrund
Das Zaubern funktional bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt wird, ist meiner Wahrnehmung nach in den End 90er Jahren in den Focus getreten: Zaubern lehren mit einem pädagogischen oder therapeutischen Hintergrund. Der Autor dieses Artikels hat mit Büchern (Die Zauber-Fundgrube, Berlin Cornelsen Verlag) und Fortbildungsseminaren die Möglichkeiten dazu ausgelotet. Annalisa Neumeyer, ausgebildet Hypnotherapeutin (Auf ihrer Homepage bezeichnet sie sich als „Urheberin und Entdeckerin des Therapeutischen Zauberns“, was man doch einmal hinterfragen sollte, aber immerhin hat sie sich das „Therapeutische Zaubern“ als Wort-Bildmarke bis 2025 schützen lassen, der Schutz als reine Wortmarke wurde vom Patentamt zurückgewiesen, was die freie Verwendung des Begriffs erheblich eingeschränkt hätte) und Wolfgang Hund, ehemaliger Seminarrektor, haben hier mit je eigenen Schwerpunkten diesen Aspekt des Zauberlehrens geprägt. Bei diesen unterschiedlichen Ansetzen wird immer genutzt, dass Zaubern Neugierde weckt, man leicht Erfolgserlebnisse bekommen kann usw., um konkrete therapeutische oder pädagogische Ziele im lustvollen Lernen erreicht werden.
Zaubern lernen just for fun
Und schließlich Zaubern lernen, just for fun! Also nicht mehr funktional eingesetzt sondern, wenn das Wortspiel erlaubt ist, FUNtional! Spass haben, Zeitvertreib, ein (mögliches) neues Hobby entdecken – dies ist das Ziel.
Im Gegensatz zu dem Zauber-Verhinderungskonzept des ersten Beispiels muss auch hier bei der Entwicklung eines Kurses, der Auswahl der Effekte und Requisiten und der Art und Weise wie man jeden einzelnen Trick lehrt, besondere Sorgfalt geübt werden. Denn der FUN und der Erfolg bedingen sich gegenseitig.
Und heute?
Mein Eindruck: Zauberkurse werden in vielen Fällen vor allem als Nebenerwerbsquelle gesehen, mit denen man zusätzliche Einnahmen generieren kann. Und dies verpackt als Präsenz- oder Online- Zauberkurs, als Zauberbuch oder Zauberkasten. Dagegen ist meiner Meinung nach auch nichts zu sagen, wenn sie sorgfältig gestaltet sind, d.h. dass die Auswahl der Requisiten und Tricks und die Art, wie sie beigebracht werden, tatsächlich zu einem Zaubern-Lernen führen, und nicht in einem Zauberverhinderungskurs enden.
Und dann gibt es als Motiv den Wunsch, die eigene Liebe Zur Zauberkunst zu teilen und vermehren.
Vielleicht ist dann Volkmars gesellschaftspolitischer Ansatz zur Inklusion mit „Einfach zaubern lernen“ eine innovative (vierte) Motivation?
Historisches aus der DDR:
Ich habe in der Zauberkunst 1989, Heft 2 einen Bericht über Zaubern mit Schulkindern in den Sommerferien 1988 veröffentlicht:
„In Erfüllung der Aufgaben des Volkskunstaufgebotes zur Vorbereitung des 40. Jahrestages der DDR suchte die Kreisarbeitsgemeinschaft Zauberkunst der Stadt Magdeburg gemeinsam mit
dem Stadtkabinett für Kulturarbeit nach eigenständigen Beiträgen.
Neue Wege beschritt die Veranstaltungsreihe „Zaubern für und mit Kindern“ in den Sommerferien. Diese Veranstaltungsreihe – an vier Magdeburger Schulen für Kinder
der Unterstufe durchgeführt – belebte die Ferienspiele und diente gleichzeitig der Talentesuche für den Zirkel „Kinderzauberkunst“ des VEB Magdeburger Armaturenwerk Karl Marx.
Für zirka 25-30 Kinder (eine Klasse) wurde zuerst ein Kinderprogramm von 15-20 Minuten Dauer gezeigt. Nach einer kurzen Pause wurden die Kinder zu je 6-8 Schüler vier Stationen zugeordnet. Vorher waren diese Stationen in einem Nachbarraum vorbereitet worden.
den. An ihnen wurden gleichzeitig etwa 15-20 Minuten ähnliche Effekte gezeigt, die im wesentlichen auf handelsüblichen Zauberkästen basierten, welche zum Schluß einer Schule zur Verfügung gestellt wurden. Die Benutzung von Zauberkästen ermöglicht es den Kindern, die Tricks nachzuvollziehen. Jedenfalls waren sie mit großer Begeisterung dabei und zauberten teilweise sogar selbst. Stimulierend wirkte, daß die Kinder ein kleines Andenken mit nach
Hause nehmen konnten. Als notwendig hat sich die aktive Einstimmung der Kinder und die Mithilfe der Erzieher erwiesen.
Diese Veranstaltungsreihe erhält durch spielerische Elemente ihren besonderen Wert. Um die Aufmerksamkeit der Kinder zu sichern, hat es sich als günstig erwiesen, solche Veranstaltungen
in die Vormittagsstunden zu verlegen.
Dr. Hans-Christian Solka“
Erläuterungen:
Kreisarbeitsgemeinschaft Zauberkunst – das war unser Zauberzirkel, der dadurch kommunale Fördermittel beantragen konnte (und teilweise bekam).
Stadtkabinett für Kulturarbeit – das war die für Kultur verantwortliche Abteilung der Stadtverwaltung. Da der Chef ein alter Hase aus der Kulturszene war, wurde uns wenig – und zumindest bei uns Zauberern – nicht politisch reingeredet.
Ferienspiele – das war die Ganztagsbetreuung von Schulkindern in den Ferien durch Pädagogen an den Schulen. Es waren Spiele, keine Schule und auf freiwilliger Basis für maximal kleines Geld (Mittagessen, ÖPNV, Eintrittsgelder). Hintergrund war die Berufstätigkeit zumeist beider Elternteile und der Versuch einer „sozialistischen“ DDR-Erziehung. Wie wir Zauberer das zeitlich organisiert hatten (wir waren alle berufstätig), weiß ich nicht mehr.
Danke Hans-Christian fuer die historisch Interessante Ergänzung.
Ulrich
Ulrich Rausch schreibt zum Thema „Zauberkurse für Kinder“, dass in der Kinderzeitschrift „Neue Stafette“ in den 60-er Jahren solche Kurse angeboten wurden.
Dazu möchte ich folgendes ergänzen:
Vor der „Neuen Stafette“ gab es die „Stafette“ und davor ( oder gleichzeitig?) „Liliput“.
„Liliput“ war eine tolle, thematisch breit gefächerte, anspruchsvolle Kinderzeitschrift.
Bei mir und meinen Geschwistern war sie heißgeliebt und wenn man krank war, dann holte man sich die Kiste mit den „Liliputs“ an’s Bett.
Im „Liliput“ gab es schon in den 50-er Jahren Erklärungen zu Zauberkunststücken, die Kinder und Jugendliche vorführen konnten. Mal hieß der Zauberer „Trixor“ mal „Astor“. Ich meine mal gelesen zu haben, dass sich „Punx“ hinter den sehr ausführlichen Beschreibungen verborgen hatte. Auf jeden Fall: Man musste lesen und es gab immer etwas zu basteln. Wer zaubern wollte, musste sich anstrengen. Ich wollte. Mit den Beiträgen im „Liliput“ begann mein Interesse für die Zauberei, die bis heute anhält. Aus Nostalgiegründen kaufte ich mir in den letzten Jahren mehrere Jahrgänge dieser Zeitschrift aus den 50ern bei Ebay, kopierte mir die Seiten mit den Zauberkunststücken und verkaufte die Zeitschriften dann wieder. Erstaunlich war, wie die Zeichnungen und Beschreibungen im Gedächtnis haften geblieben sind, dabei lagen 60 Jahre dazwischen.
Wer Interesse an meinen Kopien hat, kann sich bei mir melden.
Zu Liliput: In dieser Zeitschrift hat tatsächlich Punx veröffentlicht, unter anderem auch einen Reisebericht über eine Reise nach London etc. Weiter interessant ist, dass der Chef von Liliput wie auch vom Gong Wilsmann war, der ja auch heute unter den Zauberern ein nicht ganz unbekannter Name war und ist. Auf jeden Fall ist so erklärlich, das Zauberkunst in beiden gelegentlich sehr prominent vorkam.
Die Stafette ist später im gleichen Verlag erschienen, und war meiner Meinung nach für ältere Kinder gedacht.
Leider fehlen mir einige Liliput-Hefte, die mit Zaubern zu tun haben. ;-(